BERGFAHREN

An einer späteren Stelle unseres Büchleins wartet ein Zitat von Hans Kammerlander ganz ungeduldig auf seine Leser. Jemandem, der bergsteige, heißt es da, müsse man den Grund des Bergsteigens nicht erklären, und jemand, der es nicht mache, verstünde es ohnehin nicht. Nun sollte man wissen, dass der Kammerlander Hans einer der besten Höhenextrembergsteiger ist, und dann sollte man mit dem Gefühl nicht zurückhalten, dass es sich der gute Mann mit seiner Erklärung ein bißchen arg leicht gemacht hat. Hört sich zwar ganz eindrucksvoll an, aber das war’s auch schon. Wenn man jetzt einen der besten Höhenextremradrennfahrer fragen würde, warum man denn mit dem Velo Alpenpässe hinaufstiefele, dann fiele die Antwort vermutlich auch nicht überzeugender aus. Ein hohes Maß an Zustimmung könnte man vielleicht noch für die Ansicht erhalten, das Fahren auf einen Berg sei der eigentliche Zweck des Rennradelns. Denn niemand, der es über einen längeren Zeitraum betreibt, wird gegen das Verlangen immun bleiben, irgendwann nach Alpe d’Huez hinaufzuschnaufen, der Mont Ventoux wird ihn von Jahr zu Jahr lauter rufen, und auf der heimischen Runde sind es auch die Anstiege, die den Ehrgeiz kitzeln. Lange Bergfahrten sind eine Quälerei, jeder weiß das, doch warum tun wir es? Warum sich am Rande der Erschöpfung Meter um Meter nach oben quälen? Warum sich das Licht ausknipsen, nur um dann oben auf einem Parkplatz voller Autotouristen zu stehen? Wo liegt der Reiz? Oben anzukommen? Oder sich hinaufzuquälen? Nicht einmal das wusste der Kammerlander Hans für die Bergsteiger halbwegs einleuchtend zu beantworten. Und wie steht es mit den Rennradfahrern? Warum fahrt ihr auf die Berge?
hekker - 3. Apr, 20:11

1. Weil's oben am Berg schoener ist als unten, und 2. weil's auf der anderen Seite wieder runtergeht! Das war ja leicht ;-)

Equipe Heiner - 5. Apr, 18:39

Halbe Portion Logik

Na ja, wenn's so einfach wär'! Zu erkennen, dass es nicht so einfach ist, dazu reicht schon eine halbe Portion Logik. Weil es oben schöner ist? Das stimmt. Um das zu erleben, könnte man allerdings auch mit dem Stinkemobil hinaufdüsen. Und weil's auf der anderen Seite wieder runter geht? Ist zwar auch richtig, aber wenn's nur um die Abfahrt ginge, dann könnte, man, wie das die etwas zwielichtigen Mountainbiker in ihrer Downhill-Variante tun, ja auch mit der Seilbahn hoch - und dann, fluppdiwupps, mit dem Rad wieder runter. Der Reiz des Ganzen muss also doch woanders liegen - an der Auffahrt. Aber warum?
hekker - 6. Apr, 11:05

So einfach war's also doch nicht...

Ich seh schon, da muss man die schweren philosophischen Geschuetze auffahren, damit man hier was reisst ;-)

Also: Mit fremder Hilfe irgendwo raufzukommen, das ist ja leicht. Wie du schon bemerkst. Schweiss- und gelenkverschleissfrei geht's mit der Kraft der fossilen Brennstoffe. Aber grad das ist das, was mich am Radeln so fasziniert: Es ist die schnellste und effizienteste Fortbegungsart ohne maschinelle Unterstuetzung. Wenn ich selbst rauffahre, dann habe ich das geschafft, und nicht irgendein dahergelaufener Dinosaurier, der schon ein paar Millionen Jahre tot ist. Ich habe mir also die schoene Aussicht und vor allem die Abfahrt hart erarbeitet. Und weil wir alle brav dressierte Drohnen sind, spielt das eine grosse Rolle, genauso wie das Haeuschen, das ich mir jahrelang vom Mund abgespart habe und selbst Ziegel fuer Ziegel aufgestellt habe, besser ist als das ererbte. Das, was man "gratis" kriegt, weiss man ja nie so zu wuerdigen.

Ich habe mir das mal anhand eines hypothetischen Antischwerkraft-Geraets ueberlegt; wuerde so eines in handlicher Trikottaschengroesse erfunden, wuerde ich es verwenden? Waer ja toll, man koennte es einstellen, wie man will, heute bin ich mal etwas muede, also will ich nur halb so schwer sein. Heute freut's mich gar nicht so, ich glaub', ich schweb lieber ein paar cm ueber der Strasse. Neinneinnein, das waer gar nix gut. Wo bleibt dann das Hochgefuehl, wenn man mit stolzgeschwellter Brust am Kamm oben steht? Selbst wenn dort am Parkplatz rundherum alle die Nase ruempfen, weil das Sportdeo schon unten bei der zweiten Kehre den letzten Hauch von Wohlgeruch aufgegeben hat. Und wenn man jemand munkeln hoert: Der ist ja bloed, warum faehrt denn der da mit dem Rad rauf? Dann schwillt die Brust sogar noch um einen Zentimeter mehr, weil ich mich gern von der breiten Masse unterscheiden wuerde und das ein Kompliment ist. Oder: Anscheinend bin ich gern bloed.

Aber ich glaub', das ist ja endlich die zentrale Frage, die ihr stellt, das Bloedsein, und darauf kann ich auch keine richtige Antwort geben. Ausser der Konditionierung in der Kindheit, weil ich wurde ja von meinem gemeinen Eltern auf alles hinaufgeschliffen, was sich auch nur 10 cm aus der restlichen Landschaft erhob. Halb Oesterreich haben wir bestiegen, und ich habe es gehasst. Und ploetzlich, 15 Jahre spaeter, ist da dieser Drang. Dieser unwiderstehliche Drang. Wenn ich einen Berg sehe, dann ist das ein persoenlicher Affront. Eine Herausforderung, die mich ganz tief drin anspricht. Sofort sehe ich nach: Hoehenmeter, Kilometer, Streckenverlauf, potentielle Start-/Zielpunkte fuer einen schoenen Rundkurs. Und wenn ich dann das Stricherl in meinen Rahmen ritzen kann, das gerahmte Gipfelfoto in die Gallerie gehaengt habe und der Laie staunt: Na org! Da bist du rauf? Wer nickt anerkennend, wenn man sagt: Gestern bin ich 2000 hm mit dem Auto gefahren, bist du deppert, meine rechte Hand tut richtig weh vor lauter Schalten die ganze Zeit?

Noch ein Versuch: Weil mit dem Auto sieht man ja nix. In der Blechkiste hinaufeiern, da merkt man nicht oder nur kaum, wie sich die Landschaft mit jedem Hoehenmeter aendert, wie es langsam kuehler wird, man sieht nicht die Aussicht auf jeder Kehre, auch die Bergbauern nicht, die da im Hang stehen und mit der Sense maehen, als waer's 150 Jahre frueher, man riecht das Heu auch nicht und die Kirche mit dem hochaufragenden spitzen Turm verschwimmt zum grauen Etwas in den Augenwinkeln. Richtiges Erleben ist das ja nicht gerade.

Aber das sind ja alles nur billige Rationalisierungen fuer einen inneren Zwang. Weil wenn man's net in einem Satz sagen kann, dann ist's meistens Bullshit, oder so. Also ziehe ich mich auf die vorgenannten Position zurueck und schaue mitleidig, wenn mich jemand das fragt, was du mich gefragt hast. Was? Mit dem Auto rauf?!?! Pfft!

Equipe Heiner - 17. Apr, 16:36

Steht im Buch

Hallo Hekker, danke für deine ausführlicheren, interessanten Gedanken (vor allem das Antischwerkraft-Gerät ist eine gute, wenn auch überflüssige Erfindung). Ich habe sie in unser Büchlein aufgenommen. Wenn du mir deine Adresse schickst (michael@ederhome.de), sende ich dir demnächst gern ein Exemplar.
ursfreulerfan - 10. Apr, 16:24

Zufriedenheit und Stolz

Das tönt etwas sehr pathetisch, doch es muss so sein. Ich erlebte es an diesem herrlichen Osterwochenende wieder. Der Lindenberg war das Ziel. Ein länglicher Höhenzug (800 m ü. M.) im aargauisch/luzernischen Mittelland. Mit viel Wald und zähen Steigungen, Pferdeweiden, Bauernhöfe, kleine Dörfer mit putzigen Namen. Tiefster Katholizismus und immer etwas zu gross geratene Kirchen. Man sah wenig Rennradler, doch immer mehr Leute auf Berg- und Hybridvelos. Mein Radkollege hat diese Runde kreiert, so um die 100 km mit 1300 Höhenmetern. Ein Stetiges auf- und ab: kein Hochgebirge, keine Voralpen, aber trotzdem zähe Bergfahrerei. Gestern «Ostermontag sogar noch eine Erweiterung mit 126 km und 1450 Höhenmetern. Ich betrachte das Ganze natürlich auch als eine Vorbereitung für grössere Aufgaben. Und die Kopfschulung, das Hinaufblicken in die Steigungen und das sich nicht Beeindruckenlassen, dann das Schalten auf den kleinsten Gang (34/29). Dann merke ich, das es geht, so ab 17% Steigungsprozenten kann man sich ja auch erheben und sich wie auf einer Treppe emporschrauben. Dankbar bin auch den kurzen Kurbeln (170 mm), folgsam lassen sie sich runterdrücken und kommen auch wieder hoch. Zum Glück sind solche ganz steilen Zwischenstücke selten. Das wäre früher ein härteres Brot gewesen, mit 42/25 oder 39/28. Bergfahren ist zum reinen Genuss geworden, dank den kleinen Gängen natürlich. Natürlich bin ich bauchig geworden, «kräftiger», der Kampf mit «vernünftiger» Ernährung, gegen Fettwampe und überflüssige Kilos, ist an die Stelle des Kampfes gegen «Mauern» und «Wände» getreten. Das Velo ist 4 Kilo’s leichter geworden und das 10-fach Ritzel mit Kompaktkurbel erfreut den Touristen.
Gemächlich und mühelos stiefle ich die Steigungen hoch, das Keuchen und Schweratmen und die schweissnassen Trikots, das ist irgendwie Vergangenheit. Ich bereite mich eigentlich vor für höhere Weihen. Der «Mortirolo» wartet im Veltlin, doch zuerst fahre ich dann als Test den Ächerli- und den Pragelpass. Wenn ich diese beiden «Monumente» mühelos fahren kann, dann erst bin ich bereit für den König der Pässe, den Passo Mortirolo. Das sind kleinere, jedoch sehr steile Voralpenpässe, praktisch autofrei und total abseits. Doch denke ich noch gar nicht an solche Steigungen, denn dort werde auch ich leiden und ein paarmal den inneren Sauhund überwinden müssen. Gespannt bin ich sehr auf den Pragelpass, denn dort bin ich mal gewandert, die Gummiüberzüge (Hufeisen) über die «Look»-Platten gezogen und zerknirscht im Entengang wackelnd. Das war etwa vor 12 Jahren, ich kann mich genau erinnern, zwei deutsche Rennradler geisterten locker mit 39/24 an mir vorbei, sie unterhielten sich sogar. Und ich wusste, dass mir 39/26 nicht genügte, da musste wieder ein 28iger drauf. Meine Wanderung fand ein Ende etwas unterhalb der Passhöhe in einem urwüchsigen Föhrenwäldchen. Ich musste mich erst mal setzen, dann schwang ich mich wieder auf mein damals noch stählernes Reynolds 753-Rad. Beim zweiten Versuch klappte es dann mit diesen ominösen 2 Zähnen mehr. Bergfahren ist eigentlich eine Sache der richtigen Übersetzungen, und auch da gibt es noch eine wichtige Regel, die mein Velomechaniker (der ehemalige Radprofi und Lüttich-Bastogne-Lüttich-Sieger Josef Fuchs) immer wieder seiner Kundschaft beibringt: Fahre mit der allerkleinsten Übersetzung in die Steigung und halte sie locker durch, schon die zweitkleinste Übersetzung kann dich killen. Ich werde dann berichten hier, wie es mir ergangen ist am steilsten Pass der Schweiz. Ich freue mich auf das Gefühl mit 34/29 hochzukriechen. Auf jeden Fall lächle ich dann unten in der zweiten Kurve des Anstiegs, wo die Verkehrstafel mit den 18% steht. Ich hoffe es wenigstens. Ich werde auch schreiben, wenn ich es unterschätzt habe. Oder mich sogar verfluche, oder mir ein Rind den Weg verstellt und man kaum mehr starten kann im steilen Gelände. Für die Einheimischen dort, die Muothataler, sind wir farbig gekleideten Velofahrer sowieso Verrückte aus der gottlosen Welt des Unterlandes. Man muss sich dann schon vorsehen, wenn einer mit dem Mäher entgegenkommt oder mit dem 4-Radantrieb SUBARU, für die unser Skidol Bernhard Russi so wirkungsvoll Werbung gemacht hat. Nun warte ich gespannt auf neue, bergige Berichte und grüsse mal den Equipier Heiner!

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