RENNRADLERS GRÜSSORDNUNG

Das Problem ist folgendes und keinesfalls gering zu schätzen: Zwei Radler begegnen sich auf einer Odenwälder Landstraße irgendwo zwischen Hoxhohl und Waschenbach. Sie nähern sich mit leicht erhöhtem Tempo, denn wenn ein Rennradler einen anderen sieht, dann will er das machen, was die Italiener bella figura nennen. Und bella figura machen, das heißt in diesem speziellen Fall: Bauch ein- und Tempo anziehen. Außerdem in die Ferne blicken und lächeln, überlegen lächeln, nicht arrogant, aber überlegen.

Wer einen Triathlonaufsatz am Lenker montiert hat, übrigens eine der sinnlosesten Erfindungen der Zubehör-Mafia, der legt sich darauf und signalisiert, die brechende Wirbelsäule ignorierend, mit dieser zutiefst sportlichen Haltung dem Entgegenkömmling: „Junge, endlich siehst du mal ’nen echten Profi, und außerdem kostet das Ding hier 399 Euro, so viel wie deine ganze lächerliche verrostete Kackmaschine.“ So also denkt der eine Radler, und so ähnlich denkt auch der andere, entweder ruht auch er unter erheblichen Schmerzen auf einem Carbonfortsatz – oder aber er sitzt auf einer lächerlichen verrosteten Kackmaschine und hasst deshalb alle entgegenkommenden Carbonfortsatzfahrer. In jedem Fall wäre es interessant, würde das beiderseitige Denken im Zuge eines wissenschaftlichen Versuchs per Lautsprecher übertragen, drastische Bremsmanöver und unschöne Gewaltszenen auf offener Straße wären nicht zu vermeiden. Aber weil die Physikalische Akustik bekanntlich seit Jahren auf der Stelle tritt, bleibt das Denken ungehört, und so fahren unsere Radler in gemeinsam ertragenem Schmerz und synchronisiertem Lächeln baucheinziehend aneinander vorbei.

Doch halt. Eines haben wir vergessen: Haben sie gegrüßt? Und wenn ja, wer hat zuerst gegrüßt? Im richtigen Leben gibt es für so was ja Regeln: Alter und Schönheit lassen grüßen, ehe sie erwidern. Bei Radlern sollte also der Langsamere den Schnelleren grüßen, der Lehrling den Meister, aber was, wenn sich beide für Meister halten, zumindest auf Odenwälder Straßen?

Alle und jeden grüßen, das geht schon mal gar nicht. Das geht vielleicht auf dem Luxusdampfer MS Europa, auf dem das Personal bekanntlich nach dem Grundsatz handelt: Alles, was sich bewegt, wird gegrüßt, alles andere wird gestrichen. Für den Radsport ist das keine praktikable Lösung. Erstens kann man auch im Odenwald beim besten Willen nicht alles streichen, was sich nicht bewegt, dazu wäre einfach zu viel Farbe nötig, zum anderen kann man aber auch nicht alles, was sich bewegt, grüßen, noch nicht einmal jeden Radler, das ginge zu weit. Deshalb jetzt mal folgende Regel: Zu grüßen sind: Erstens alle Radler mit bildschönen Trikots und formvollendetem Fahrstil, das heißt alle Mitglieder der Equipe Heiner. Diese grüßen zurück, wenn sie das für richtig halten. Nachdem somit die Wer-grüßt-wen-Problematik zur allgemeinen Zufriedenheit geklärt wäre, werden wir automatisch zur Frage weitergeleitet: Wie wird gegrüßt? Auch darüber gibt es kein verbindliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wieder bewegen wir uns in unerkundeten Rechtslandschaften. Ob uns die Motorradfahrer weiterhelfen können? Ein Blick ins befreundete Ausland zeigt, dass sie in Frankreich den Fuß zum Gruß heben, so wie das Hündchen tun, wenn sie mal austreten müssen. Kommt für Radler aus zwei Gründen nicht in Betracht: a) sieht unfassbar dämlich aus, b) Klickpedale.

In Deutschland heben unsere motorisierten Zweiradbrüder, wenn sie einen schwitzenden Kollegen passieren, hingegen kurz die linke Hand, sie tun dies so lässig wie irgend möglich, wobei eine gewisse Hierarchie nicht zu übersehen ist: Je größer die Stinkekarre, desto geringer die Handhebeamplitude. Das könnte ein Vorbild sein für uns, die linke Hand zwanzig Millimeter nach oben zucken, dazu ein unmerkliches Nicken, so werden wir das machen. Und für alle anderen gilt: Wer einen Equipler sieht, hält einfach an, verbeugt sich kurz und radelt dann frisch inspiriert weiter. Das sei, um die Sache abzukürzen, für den Odenwald jetzt mal rechtsverbindlich angeordnet.

Mit allseits freundlichem Gruß

Equipe Heiner
ursfreulerfan - 3. Apr, 21:41

Der Gruss

Ich versuche etwas über den Gruss zu schreiben. Früher blinkten oder hupten sich die gleichen Automarken auf den Landstrassen, VW grüsst VW, Opel grüsst Opel und Renault grüsst Renault. Und die Motorradfahrer grüssten sich und sehrwahrscheinlich auch die damals noch nicht in Massen auftretenden Rennradfahrer. Man grüsst also innerhalb der Familie, innerhalb der Gruppe, die einem Stammeszugehörigkeit und Zugehörigkeit vermittelt. Man ist jemand und grüsst seinesgleichen. Also grenzt man sich auch ab. Grüsst der Ledermann auf dem schweren Motorrad den Mann auf dem Moped, oder grüsst der Rennradfahrer den Bergvelofahrer? Je stärker man sich in einer solchen Gruppe verpflichtet fühlt, umso schärfer macht man die Grenze, ob man jemanden grüsst oder nicht. Fühlt sich der Harleyfahrer besser als die Vertreter der japanischen Maschinen, grüsst er sie oder fährt er schnöde an ihnen vorbei. Innerhalb der einzelnen Familien und Sippen kommt es zu dramatischen Ausgrenzungen. Also Bergvelofahrer sind abartige Spinner und werden nicht gegrüsst, oder die keine weissen kurzen Rennsocken tragen, die werden nicht gegrüsst. Unrasierte Beine, pfui Deibel, was für eine Abartigkeit, und so weiter. Noch in grauen Vorzeiten hätte man sich vielleicht jeweils noch am Strassenrand verprügelt und bekämpft. Es geht doch nicht, dass andere anders sind und andern Göttern huldigen. Doch die ganze Psychologie der Grüsserei hat ja noch andere Aspekte. Früher grüssten sich die wenigen Recken der Landstrasse, weil sie sich alle kannten aus den Veloclubs und Rennvereinen. Man kannte die einzelnen Trikots, aha der mit dem blaugrauen «Sack» vom RV Höngg, aha der mit dem roten Colnago, etc., etc. Es wurde «hoi», «sali» oder «ciao» gerufen, zum Teil auch gewunken oder nachgerufen. Und man trug keine Helme und Brillen, die heute die Rennradfahrer förmlich maskieren und unkenntlich machen. Höchstens ein neckisches Rennfahrerkäppli zierte das kantige Haupt des entgegenkommenden Recken. Das Dächlein vorne tief in die Stirne gezogen, vorne aufgeklappt oder hinten hinabragend, um den Nacken vor übermässigen Sonnenbestrahlung zu schützen. Dann wurden die in der Gruppe meistens die Entgegenkommenden auf der anderen Strassenseite kommentiert. Huiiii, der Koller hat aber einen schweren Tritt, uii der hat sicher «einen in den Schuhen», und der Aemisegger könnte wiedermal sein Lenkerband ersetzen, es hängt ihm ja in Fetzen vom Lenker runter. Gelacht wurde immer, wenn ein schwergewichtiger Paukenfahrer entgegenkam, aufrecht mit nach aussen gestellten Knien auf der Maschine balancierend. Man konnte sich ja noch nicht vorstellen, dass es einem dann auch mal so gehen würde. Doch diese romantischen Zeiten sind längstens passé, es kam in den 80igern der grosse Velo-Boom zusammen mit den grünlinken Umweltsuntergangszenarien. Auf einmal war die Strasse voll mit einer neuen Schicht Rennradlern, die nichts wussten von Grüssen und Ablösungen (habe ich hier auch schon behandelt). Und eben wie gesagt kamen irgendwann die Topfhelme und die Brillen. Und die Triathlönler, oder eben Triathleten und natürlich die Bergvelofahrer. Die ursprüngliche Sippe wurde gnadenlos aufgesplittert. Das gemütliche Familiengefühl war weg, die einstigen Superrecken wurden älter und älter.
Immer seltener ertönten die kernigen und frischen Grussworte über die Strasse der Ehre. Es veränderte sich alles. Wie alles. Nun will ich nicht in bitterer Nostalgie schwelgen, sondern ich schreibe nur noch, wie ich es heute betreibe: ich grüsse grosszügig, ich führe eigentlich vor, wie das doch eigentlich noch ganz nett sein könnte. Ich finde gute Manieren etwas ganz angenehmes, und ich sammle die verschiedensten Eindrücke und Erlebnisse auf den sonn- und samstäglichen Ausfahrten. Es gibt eigentlich keine Etiquette mehr, alles ist erlaubt. Und so ist es halt nun einmal. Es ist ja nichts anderes mehr als im Tram oder im Zug. Warum sollen Männer auf dem Rade plötzlich freundlicher und kommunikativer werden? Ist ja nicht gut möglich. Und es wird ja vielfach als Einzelsport betrieben, als Sonntagsrumbringer oder als Flucht vor den familiären Verpflichtungen. Die Stimmung ist ja nicht immer so toll bei vielen Zeitgenossen, also warum erwarte ich denn, dass sie grüssen? Jeder ist so wie er ist, und ich bin so wie ich bin. Auch ich kann ein Arschloch sein. Mal so weit, vielleicht bringt sich noch ein anderer Held der Landstrasse hier ein, eigentlich wäre es ja wünschenswert. Oder ich schreibe einfach mal weiter auf dieser technisch hervorragend gemachten Seite. das war ein Kompliment an den nebulösen Equipier Heiner. Auch das obige Bild passt, wo wurde denn diese Aufnahme gemacht?

Equipe Heiner - 8. Apr, 10:24

Lob und Rück-Lob

Hallo René, erstmal danke für dein Lob. Zum Foto: Welches meinst du? Das Schneebild ist letzte Woche kurz unterhalb des Lautaret-Passes in den französischen Alpen aufgenommen. Und das Foto oben im Seitenkopf ist eine Szene aus den Vogesen. Nun zum Rück-Lob: Deine Texte sind klasse, sie werden supergern gelesen, und wenn du nichts dagegen hast, würde ich sie gern in Auszügen in unser Buch aufnehmen. Bekommst natürlich ein Gratisexemplar dafür. Und jetzt warten wir mit Spannung darauf, was du als Schweizer zum Bergfahren zu schreiben hast. Ach ja: Die "nebulöse " Equipe Heiner lernst du unter www.equipe-heiner.de kennen! Bis dann.

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Dieses Weblog präsentiert Beiträge aus dem Buch "Ganz großer Sport", herausgegeben der Darmstädter Equipe Heiner. Ideen, Kommentare, Meinungen, Anekdoten dazu sind willkommen.

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Zufriedenheit und Stolz
Das tönt etwas sehr pathetisch, doch es muss so sein....
ursfreulerfan - 10. Apr, 16:24
Lob und Rück-Lob
Hallo René, erstmal danke für dein Lob. Zum Foto: Welches...
Equipe Heiner - 8. Apr, 10:24
So einfach war's also...
Ich seh schon, da muss man die schweren philosophischen...
hekker - 6. Apr, 11:05

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