Dienstag, 17. April 2007

WARUM HERR G. NIE MIT UNS FUHR

kleinbestrad

Herr G. ist mal gelaufen. In der Jugend. Ziemlich gut, sagt man. Fünftausend Meter und so, das ist viel Weg. Aber seither ist Zeit ins Land gegangen, viel Zeit. Heute vermerkt Herr G. mit Stolz, dass er einer Generation angehöre, die noch Schnee geschippt habe, was die Jugend von heute ja überhaupt nicht mehr kenne, Herr G. ist Besitzer eines dezent lackierten Mountainbikes sowie einer Principia-Rennmaschine, welche er in den vergangenen zehn Jahren allerdings nur wenige Kilometer bewegt hat. Auch gelaufen ist er nicht mehr viel, immer nur mal in jenen kurzen Phasen, in denen er gerade nicht an einer langwierigen Sportverletzung laborierte, fast immer handelte es sich um eine eindrucksvolle Wadenzerrung, an deren Behandlung mehrere Dutzend Spezialisten im gesamten deutschsprachigen Raum scheiterten.


Wahrscheinlich lag es an dieser privaten Verletzungsmisere, warum Herr. G nur ein einziges Mal von einem Fahrer der Equipe Heiner auf dem Rennrad gesehen wurde, aber auch bei dieser Gelegenheit soll er sich fast ausschließlich im Windschatten aufgehalten haben. Immer wieder hatte es vereinzelte Initiativen gegeben, ihn für eine Ausfahrt mit der legendären Equipe zu verpflichten. Im Sommer 2006 dann die endgültige Absage. Herr G. teilte mit, dass er ein für allemal über den Sport hinausgewachsen sei, dass er ihn nicht mehr benötige, weil er eine neue persönliche Ebene erreicht habe. Wenn der Sprint die S-Bahn-Treppe hinauf mit einer Zerrung im Oberschenkelbeuger bestraft werde, wie geschehen, sei dies nämlich ein ausgesprochen gutes Zeichen. Früher sei dafür noch ein intensives Fußballspiel notwendig gewesen. Oder eben eine ausgedehnte Radtour. Dies sei nun überflüssig. Er könne sich mittlerweile Sportverletzungen zuziehen, ohne überhaupt Sport zu treiben, führte Herr G. aus, und bekanntlich seien Verletzungen bei Sportlern wie Narben bei Indianern – Beweise von Mut und Kriegslust. Ein ernstzunehmender Fußballspieler zum Beispiel müsse mindestens einmal in seiner Karriere nachweislich verletzt sein, um als echter Haudegen zu gelten. Und ein Radfahrer müsse mindestens einmal pro Saison seriös verunfallen.


Auch die Vorteile der Rekonvaleszenz beschrieb Herr G. ausführlich. Besorgt wie nie zuvor werde der Verletzte nach seinem Befinden befragt. Ausführlich dürfe der Geschundene von seiner Reha erzählen, von mörderischen Stunden zwischen Eisen und Seilen, vorangepeitscht von semi-sadistischen Physiotherapeuten. Auch Zeitungen schrieben gern von diesen Geschichten. Für solche Momente des Ruhms, sagte Herr G., benötige er keinen Sport mehr. Ein gereifter Athlet wie er habe seinen Körper dahin gehend sensibilisiert, dass dieser sich auf Kommando (oder nicht einmal das) selber verletze. Kein Tritt eines dämlichen Gegners störe, man müsse nicht sonntags früh aufstehen, um aufs Rennrad zu steigen, rieche nicht unangenehm nach Schweiß. Auch die physiologischen Vorgänge, welche auf dem Weg zum perfekten Athleten wirken, ließ Herr G. nicht unerwähnt: Der schlaue Körper kopiere ganz einfach das System der Materialermüdung, nach welchem noch vor nicht allzu langer Zeit italienische Autos gebaut worden seien. Es gehe einfach etwas kaputt, ohne dass man es zuvor intensiver benutzt haben müsste. Und so funktioniere ein derartiger Superkörper: Er speichere alle Koordinaten von sportlicher Betätigung, lösche aber nach und nach Überflüssiges, es handele sich offensichtlich um eine kluge Auslese, ein Abspecken, ein Abschied von allem Unsinnigen. Übrig bliebe nur die Verletzung, das Destillat.


Als Leitbild könne das Huhn diesen, das sich ja auch das Fliegen abgewöhnt habe. Warum, sagt sich das schlaue Tier, vor der Schlachtung noch groß herumfliegen, das macht die Sache für alle nur kompliziert. Verbrauche Patronen, Gebrauchsspuren am Körper. Der schlaue Sportlerkörper, argumentiert Herr G., funktioniere nach dem Prinzip Huhn. Er wisse, dass heldenhafte Verletzungen dem Sportler das Zeugnis seiner Einsatzfreude ausweisen. Also knallten die Zerrungen bei der kleinsten Treppe. Der Gipfel von allem sei die Leistenzerrung aus dem Nichts. Im Stehen. Bei null Bewegung. Wer diese Entwicklungsstufe erreicht habe, könne auf Sport verzichten. Deshalb also ist Herr G. nie mit uns Rad gefahren.

WEBLOG zum Buch der Equipe Heiner

Dieses Weblog präsentiert Beiträge aus dem Buch "Ganz großer Sport", herausgegeben der Darmstädter Equipe Heiner. Ideen, Kommentare, Meinungen, Anekdoten dazu sind willkommen.

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