Samstag, 24. März 2007

AUTOFAHRER

Manchmal, oder eigentlich fast immer, wenn uns ein Autofahrer wie irre anhupt oder versucht, in den Graben zu drängen, weil ihm nicht nur sein Auto, sondern auch die Straße gehört, müssen wir an „Mad Max“ denken. In diesem gelungenen Streifen aus dem Jahr 1979 verarbeiten, wenn wir uns recht erinnern, die Glory Riders das Auto des Polizisten Max Rockatansky mit Hämmern und anderem schwerem Gerät zu einem eindrucksvollen Haufen Schrott. Mad Max, das nur am Rande, ist der Film mit dem höchsten Kosten-Profit-Verhältnis. Er hat 400 000 Dollar gekostet und mehr als hundert Millionen eingespielt – da sieht man, wie viele Fahrradfahrer sich an der Autozerdepperungsszene gar nicht satt sehen konnten. Diese noch heute vorbildliche Anleitung zur angemessenen Behandlung von aufdringlichen Autofahrern hat nur einen kleinen Nachteil, nämlich den folgenden: Selbst ein nur durchschnittlich ausgeprägtes Rechtsgefühl verbietet die tägliche Nachahmung im vorderen und hinteren Odenwald, weshalb zu unserem Bedauern im Umgang mit gewaltbereiten Autofahrern ein wenig subtiler vorgegangen werden muss.

Doch direkt zur nächsten Polizeistadion zu fahren, um dort unter Angabe von Kennzeichen und Personenbeschreibung Anzeige gegen Mister Unbekannt und seinen PS-Liebling zu erstatten, sollte man sich und dem diensthabenden Wachtmeister ersparen. Der gute Mann hat den ganzen Tag zur Genüge damit zu tun, fehlgeleitete Staatsbürger gebührenpflichtig zu verwarnen.

Was also tun? Tatsächlich war es lange Zeit nicht ganz einfach, wenn man ehrlich ist, sogar ziemlich unmöglich, dem Radfahrer ein Verhaltensrezept an die Hand zu geben für die mentale Kollision mit einem Autofahrer. Um so verdienstvoller war es, als zwei Zweiradfahrer, deren Namen uns aus Diskretionsgründen soeben entfallen sind, gewissermaßen aus der Situation heraus eine überaus passable Vorgehensweise entwickelten. Folgendes hatte sich zugetragen. Zwei Radler fuhren nebeneinander, und obwohl die Straße fast ebenso breit wie lang und überdies nur wenig mehr als völlig unbefahren war, trötete das einzige Automobil weit und breit mit allem, was die Hupe hergab. Die routinemäßige Reaktion der Radler war ein verständnisvolles Tippen mit dem Zeigefinger an die Stirn. Soll heißen: Blödes PS-Arschloch, schau, dass du weiterkommst! Damit ist in den meisten Fällen die Angelegenheit auch schon erledigt, jeder hat getan, was er seinem Standpunkt schuldig ist. Der Autofahrer dem Standpunkt der Männer, deren IQ von der PS-Zahl ihres Autos um das Dreifache übertroffen wird, sowie dem Standpunkt der Radler, deren Ehrbegriff in direkter Linie auf die Cowboys im Mittleren Westen zurückgeht. PS gegen Pferdestärke also.

Diesmal jedoch bremste der Autofahrer sein schweres Gerät rapide ab, fuhr in gemäßigtem Tempo vor den Radlern her und holte zu einem Schlag von bemerkenswerter Raffinesse aus. Er betätigte die High-Tech-Scheibenwaschanlage seines BMW, und offenbar hatte er in gründlicher Voraussicht die Düsen derselben derart zielgenau eingestellt, dass der Wasserstrahl die von der Attacke deutlich überraschten Radler einer demütigenden Dusche unterzog. 1:0 für’s Autolager. Sich von einer blöden BMW-Düse nassspritzen zu lassen, das geht ziemlich eindeutig zu weit, und so wirkten die Zeichen, welche die Radler dem Wagen hinterherschickten, auch auf unbeteiligte Beobachter ein wenig deutlicher, diesmal ließ der Zeigefinger seinen Nachbarn ran, den bösen Buben im Fünfer-Klub. Damit wiederum hätte es nun wieder gut sein können, doch offensichtlich euphorisiert ob seines triumphalen Erstschlages ignorierte der Mann am Steuer die Grundregel Nummer eins in solchen Fällen: Niemals anhalten! Solange nämlich Distanz da ist, bleibt alles ein Spiel, Auge in Auge jedoch ist der Spaß schnell vorbei.

Die Radfahrer reagierten mit einer seit Jahrhunderten bewährten Kriegstaktik divide et impera. Die zahlenmäßige Übermacht nutzen, teilen und siegen. So stand der eine Radler plötzlich an der Beifahrertür und attackierte den Automobilisten von dort mit einem derart eindrucksvollen Zornpotential, dass selbst der Herr Sloterdijk nur noch sprachlos gestaunt hätte, wobei sich diese Flankenattacke jedoch nur als taktisch höchst gelungenes Ablenkungsmanöver herausstellte. Der Autofahrer nämlich wandte sich in verständlicher Abwehrhaltung und in berechtigter Sorge um die Unversehrtheit des in aubergine-metallic gehaltenen BMW-Lacks dem Angreifer auf der Beifahrerseite zu und versäumte dabei, die andere Flanke abzudecken. Von dort griff nun aber der andere Radler geradewegs ins Innere des Wagens, zog mit spitzen Fingern den Zündschlüssel ab, und als der Motor frisch erstorben war, warf er den Schlüssel in hohem Bogen und soweit er konnte in den gut gedüngten Acker jenseits der Straße dritter Ordnung.

So fand die Geschichte ein würdiges Ende. Während der Autofahrer in einem ordentlich stinkenden Acker nach jenem Schlüssel suchte, ohne den sein Automobil nur ein wohl designter, aber unbeweglicher Haufen Schrott war und er selbst nur ein schlecht designter, unbeweglicher Haufen Fußgänger, fuhren die beiden Radler zufrieden lächelnd davon, nebeneinander und ohne eine Spur von Hast, in Richtung Westen, der strahlend untergehenden Sonne entgegen.

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