Herr G. ist mal gelaufen. In der Jugend. Ziemlich gut, sagt man. Fünftausend Meter und so, das ist viel Weg. Aber seither ist Zeit ins Land gegangen, viel Zeit. Heute vermerkt Herr G. mit Stolz, dass er einer Generation angehöre, die noch Schnee geschippt habe, was die Jugend von heute ja überhaupt nicht mehr kenne, Herr G. ist Besitzer eines dezent lackierten Mountainbikes sowie einer Principia-Rennmaschine, welche er in den vergangenen zehn Jahren allerdings nur wenige Kilometer bewegt hat. Auch gelaufen ist er nicht mehr viel, immer nur mal in jenen kurzen Phasen, in denen er gerade nicht an einer langwierigen Sportverletzung laborierte, fast immer handelte es sich um eine eindrucksvolle Wadenzerrung, an deren Behandlung mehrere Dutzend Spezialisten im gesamten deutschsprachigen Raum scheiterten.
Wahrscheinlich lag es an dieser privaten Verletzungsmisere, warum Herr. G nur ein einziges Mal von einem Fahrer der Equipe Heiner auf dem Rennrad gesehen wurde, aber auch bei dieser Gelegenheit soll er sich fast ausschließlich im Windschatten aufgehalten haben. Immer wieder hatte es vereinzelte Initiativen gegeben, ihn für eine Ausfahrt mit der legendären Equipe zu verpflichten. Im Sommer 2006 dann die endgültige Absage. Herr G. teilte mit, dass er ein für allemal über den Sport hinausgewachsen sei, dass er ihn nicht mehr benötige, weil er eine neue persönliche Ebene erreicht habe. Wenn der Sprint die S-Bahn-Treppe hinauf mit einer Zerrung im Oberschenkelbeuger bestraft werde, wie geschehen, sei dies nämlich ein ausgesprochen gutes Zeichen. Früher sei dafür noch ein intensives Fußballspiel notwendig gewesen. Oder eben eine ausgedehnte Radtour. Dies sei nun überflüssig. Er könne sich mittlerweile Sportverletzungen zuziehen, ohne überhaupt Sport zu treiben, führte Herr G. aus, und bekanntlich seien Verletzungen bei Sportlern wie Narben bei Indianern – Beweise von Mut und Kriegslust. Ein ernstzunehmender Fußballspieler zum Beispiel müsse mindestens einmal in seiner Karriere nachweislich verletzt sein, um als echter Haudegen zu gelten. Und ein Radfahrer müsse mindestens einmal pro Saison seriös verunfallen.
Auch die Vorteile der Rekonvaleszenz beschrieb Herr G. ausführlich. Besorgt wie nie zuvor werde der Verletzte nach seinem Befinden befragt. Ausführlich dürfe der Geschundene von seiner Reha erzählen, von mörderischen Stunden zwischen Eisen und Seilen, vorangepeitscht von semi-sadistischen Physiotherapeuten. Auch Zeitungen schrieben gern von diesen Geschichten. Für solche Momente des Ruhms, sagte Herr G., benötige er keinen Sport mehr. Ein gereifter Athlet wie er habe seinen Körper dahin gehend sensibilisiert, dass dieser sich auf Kommando (oder nicht einmal das) selber verletze. Kein Tritt eines dämlichen Gegners störe, man müsse nicht sonntags früh aufstehen, um aufs Rennrad zu steigen, rieche nicht unangenehm nach Schweiß. Auch die physiologischen Vorgänge, welche auf dem Weg zum perfekten Athleten wirken, ließ Herr G. nicht unerwähnt: Der schlaue Körper kopiere ganz einfach das System der Materialermüdung, nach welchem noch vor nicht allzu langer Zeit italienische Autos gebaut worden seien. Es gehe einfach etwas kaputt, ohne dass man es zuvor intensiver benutzt haben müsste. Und so funktioniere ein derartiger Superkörper: Er speichere alle Koordinaten von sportlicher Betätigung, lösche aber nach und nach Überflüssiges, es handele sich offensichtlich um eine kluge Auslese, ein Abspecken, ein Abschied von allem Unsinnigen. Übrig bliebe nur die Verletzung, das Destillat.
Als Leitbild könne das Huhn diesen, das sich ja auch das Fliegen abgewöhnt habe. Warum, sagt sich das schlaue Tier, vor der Schlachtung noch groß herumfliegen, das macht die Sache für alle nur kompliziert. Verbrauche Patronen, Gebrauchsspuren am Körper. Der schlaue Sportlerkörper, argumentiert Herr G., funktioniere nach dem Prinzip Huhn. Er wisse, dass heldenhafte Verletzungen dem Sportler das Zeugnis seiner Einsatzfreude ausweisen. Also knallten die Zerrungen bei der kleinsten Treppe. Der Gipfel von allem sei die Leistenzerrung aus dem Nichts. Im Stehen. Bei null Bewegung. Wer diese Entwicklungsstufe erreicht habe, könne auf Sport verzichten. Deshalb also ist Herr G. nie mit uns Rad gefahren.
Equipe Heiner - 17. Apr, 08:59
An einer späteren Stelle unseres Büchleins wartet ein Zitat von Hans Kammerlander ganz ungeduldig auf seine Leser. Jemandem, der bergsteige, heißt es da, müsse man den Grund des Bergsteigens nicht erklären, und jemand, der es nicht mache, verstünde es ohnehin nicht. Nun sollte man wissen, dass der Kammerlander Hans einer der besten Höhenextrembergsteiger ist, und dann sollte man mit dem Gefühl nicht zurückhalten, dass es sich der gute Mann mit seiner Erklärung ein bißchen arg leicht gemacht hat. Hört sich zwar ganz eindrucksvoll an, aber das war’s auch schon. Wenn man jetzt einen der besten Höhenextremradrennfahrer fragen würde, warum man denn mit dem Velo Alpenpässe hinaufstiefele, dann fiele die Antwort vermutlich auch nicht überzeugender aus. Ein hohes Maß an Zustimmung könnte man vielleicht noch für die Ansicht erhalten, das Fahren auf einen Berg sei der eigentliche Zweck des Rennradelns. Denn niemand, der es über einen längeren Zeitraum betreibt, wird gegen das Verlangen immun bleiben, irgendwann nach Alpe d’Huez hinaufzuschnaufen, der Mont Ventoux wird ihn von Jahr zu Jahr lauter rufen, und auf der heimischen Runde sind es auch die Anstiege, die den Ehrgeiz kitzeln. Lange Bergfahrten sind eine Quälerei, jeder weiß das, doch warum tun wir es? Warum sich am Rande der Erschöpfung Meter um Meter nach oben quälen? Warum sich das Licht ausknipsen, nur um dann oben auf einem Parkplatz voller Autotouristen zu stehen? Wo liegt der Reiz? Oben anzukommen? Oder sich hinaufzuquälen? Nicht einmal das wusste der Kammerlander Hans für die Bergsteiger halbwegs einleuchtend zu beantworten. Und wie steht es mit den Rennradfahrern? Warum fahrt ihr auf die Berge?
Equipe Heiner - 2. Apr, 16:27
Das Problem ist folgendes und keinesfalls gering zu schätzen: Zwei Radler begegnen sich auf einer Odenwälder Landstraße irgendwo zwischen Hoxhohl und Waschenbach. Sie nähern sich mit leicht erhöhtem Tempo, denn wenn ein Rennradler einen anderen sieht, dann will er das machen, was die Italiener bella figura nennen. Und bella figura machen, das heißt in diesem speziellen Fall: Bauch ein- und Tempo anziehen. Außerdem in die Ferne blicken und lächeln, überlegen lächeln, nicht arrogant, aber überlegen.
Wer einen Triathlonaufsatz am Lenker montiert hat, übrigens eine der sinnlosesten Erfindungen der Zubehör-Mafia, der legt sich darauf und signalisiert, die brechende Wirbelsäule ignorierend, mit dieser zutiefst sportlichen Haltung dem Entgegenkömmling: „Junge, endlich siehst du mal ’nen echten Profi, und außerdem kostet das Ding hier 399 Euro, so viel wie deine ganze lächerliche verrostete Kackmaschine.“ So also denkt der eine Radler, und so ähnlich denkt auch der andere, entweder ruht auch er unter erheblichen Schmerzen auf einem Carbonfortsatz – oder aber er sitzt auf einer lächerlichen verrosteten Kackmaschine und hasst deshalb alle entgegenkommenden Carbonfortsatzfahrer. In jedem Fall wäre es interessant, würde das beiderseitige Denken im Zuge eines wissenschaftlichen Versuchs per Lautsprecher übertragen, drastische Bremsmanöver und unschöne Gewaltszenen auf offener Straße wären nicht zu vermeiden. Aber weil die Physikalische Akustik bekanntlich seit Jahren auf der Stelle tritt, bleibt das Denken ungehört, und so fahren unsere Radler in gemeinsam ertragenem Schmerz und synchronisiertem Lächeln baucheinziehend aneinander vorbei.
Doch halt. Eines haben wir vergessen: Haben sie gegrüßt? Und wenn ja, wer hat zuerst gegrüßt? Im richtigen Leben gibt es für so was ja Regeln: Alter und Schönheit lassen grüßen, ehe sie erwidern. Bei Radlern sollte also der Langsamere den Schnelleren grüßen, der Lehrling den Meister, aber was, wenn sich beide für Meister halten, zumindest auf Odenwälder Straßen?
Alle und jeden grüßen, das geht schon mal gar nicht. Das geht vielleicht auf dem Luxusdampfer MS Europa, auf dem das Personal bekanntlich nach dem Grundsatz handelt: Alles, was sich bewegt, wird gegrüßt, alles andere wird gestrichen. Für den Radsport ist das keine praktikable Lösung. Erstens kann man auch im Odenwald beim besten Willen nicht alles streichen, was sich nicht bewegt, dazu wäre einfach zu viel Farbe nötig, zum anderen kann man aber auch nicht alles, was sich bewegt, grüßen, noch nicht einmal jeden Radler, das ginge zu weit. Deshalb jetzt mal folgende Regel: Zu grüßen sind: Erstens alle Radler mit bildschönen Trikots und formvollendetem Fahrstil, das heißt alle Mitglieder der Equipe Heiner. Diese grüßen zurück, wenn sie das für richtig halten. Nachdem somit die Wer-grüßt-wen-Problematik zur allgemeinen Zufriedenheit geklärt wäre, werden wir automatisch zur Frage weitergeleitet: Wie wird gegrüßt? Auch darüber gibt es kein verbindliches Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wieder bewegen wir uns in unerkundeten Rechtslandschaften. Ob uns die Motorradfahrer weiterhelfen können? Ein Blick ins befreundete Ausland zeigt, dass sie in Frankreich den Fuß zum Gruß heben, so wie das Hündchen tun, wenn sie mal austreten müssen. Kommt für Radler aus zwei Gründen nicht in Betracht: a) sieht unfassbar dämlich aus, b) Klickpedale.
In Deutschland heben unsere motorisierten Zweiradbrüder, wenn sie einen schwitzenden Kollegen passieren, hingegen kurz die linke Hand, sie tun dies so lässig wie irgend möglich, wobei eine gewisse Hierarchie nicht zu übersehen ist: Je größer die Stinkekarre, desto geringer die Handhebeamplitude. Das könnte ein Vorbild sein für uns, die linke Hand zwanzig Millimeter nach oben zucken, dazu ein unmerkliches Nicken, so werden wir das machen. Und für alle anderen gilt: Wer einen Equipler sieht, hält einfach an, verbeugt sich kurz und radelt dann frisch inspiriert weiter. Das sei, um die Sache abzukürzen, für den Odenwald jetzt mal rechtsverbindlich angeordnet.
Mit allseits freundlichem Gruß
Equipe Heiner
Equipe Heiner - 30. Mär, 17:41
In einer Gruppe kann nur ein starker Fahrer ein Lutscher sein, dann nämlich, wenn er nicht die Führungsarbeit übernimmt, die seiner Stärke entspricht. Ein schwacher Fahrer hingegen hat geradezu das radfahrerische Grundrecht, sich im Windschatten mitnehmen zu lassen – es ist ihm Arbeit genug. So sind auch im Profilager die Kapitäne, die sich von ihren Helfern durch die Flachetappen ziehen lassen, nichts anderes als Lutscher, sie lassen andere für sich arbeiten, um dann – wenn die Entscheidung in den Bergen oder im Zeitfahren naht – möglichst ausgeruht Stärke zu beweisen.
Aber was interessieren uns die Profis? Was uns interessiert, ist folgendes: Wenn auf freier Strecke plötzlich ein Rennradler von hinten grußlos auffährt und dort kleben bleibt, dann kann man dies innerlich mit wohltemperierten Gedanken kommentieren. Etwa dahingehend, dass der Mann am Hinterrad, der den fremden Windschatten so schamlos nutzt, nicht anderes tut, als in deine Privatsphäre einzudringen, in den Kokon, in dem du in völliger Distanz zur Welt dahinrollst. Man kann dies allerdings auch sehr viel lauter und anschaulicher formulieren, wie dies Teamfahrer UD bisweilen nicht zu unterdrücken versteht. Fährt er gerade als letzter im EQ-Zug und hängt plötzlich ein Fremder an seinem Hinterrad, so beliebt er gern zu fragen: „Ja, habe ich denn einen Magneten montiert?“ „Warum“, fragt es dann zurück. „Weil ich so viel Schrott hinter mir herziehe.“ Das ist, zugegeben, nicht über die Maßen höflich, aber es wirkt. Der Lutscher wird spätestens an der nächsten Kreuzung abbiegen, so grußlos, wie er gekommen ist.
Eine andere, gleichfalls interessante Art, lästige Anhängsel loszuwerden, hat Joseph von Westphalen entwickelt. Zunächst seine Sicht der Dinge: „Entsetzlich sind die anonymen Begleiter. Während man ihn bester Laune von einem Ort zum anderen radelt, tauchen sie aus dem Nichts auf und fahren kilometerweit lautlos dicht hinter einem her. Jedes Gefühl für die natürliche Distanz mißachtend, nutzen sie parasitär den fremden Windschatten zum leichteren eigenen Vorwärtskommen.“ Westphalens Gegenschlag beruht nun nicht, wie bei UD, auf grober Rhetorik, sondern auf konsequentem Handeln. Lutscher, sagt er, ließen sich nur verscheuchen, wenn man sich während der Fahrt eine Zigarette anstecke, was sich in jedem Fall empfehle. Damit werde man nicht nur den Lutscher zuverlässig los, sondern entgehe auch dem Verdacht, man halte Radfahren für gesundheitsfördernd
Equipe Heiner - 29. Mär, 17:03
Die ambitionierte, aber immer ein wenig zu seitensteife und angestrengte Radler-Zeitschrift tour hat aus Versehen eine kleine Debatte losgetreten. Es geht darum, was um alles in der Welt ein Hobbyfahrer mit all den Trainingsplänen soll, die Postillen wie die tour ihm permanent aufschwätzen. Darf der Radler nicht einfach nur radeln, einfach so, ohne GA 1 und Intervalle, ohne Laktatmessung und Ergometertests? Das Lustprinzip steht, wie es in einem Leserbrief heißt, gegen das "Leichter-Neuer-Schneller-Prinzip". Was meint ihr? Hier ein paar Gedanken dazu:
Trainieren. Rennradfahrer tun das. Rennradfahrer müssen das, denn Rennradfahrer können nicht einfach so Fahrradfahren. Einfach so aufs Rennrad steigen und zum Spaß durch die Gegend sausen, das geht nicht. Und deshalb braucht der Rennradfahrer auch keine Landkarte, sondern er braucht einen Trainingsplan. Bataillone von Zeitschriften unterhalten damit ihre Redaktion. Wer noch nie einen Trainingsplaner der Fachzeitschrift tour gesehen hat, hat nur einen unbestimmten Begriff dessen, was man Irrsinn nennt. Der tour-Trainingsplaner erscheint zu Beginn des Jahres und schreibt dem Rennradfahrer für jeden einzelnen Tag des Frühjahres ein Trainingsprogramm vor. Grundlagenausdauertraining (GA) 1 und 2, Intervalltraining, Kraftausdauer. Und, das ist das allerirrsinnigste, es soll tatsächlich eine ganze Menge Menschen geben, die sich dem Diktat dieses und ähnlicher Trainingspläne beugen.
Der Rennradler fährt also nicht, er übt zu fahren, er trainiert. Was die tour propagiert, ist genau das, was Joseph von Westphalen schon lange befürchtet hatte, dass nämlich das Fahrrad mittlerweile für einen fahrbaren Heimtrainer gehalten wird.
Völlig ausgeschlossen, geradezu undenkbar, ist, dass einer sein Rennrad einfach so aus dem Keller holt, sich daraufsetzt und losradelt. Das würde womöglich Spaß machen, aber keinen Sinn. Denn der Sinn des Rennradfahrens, wie ihn tour und Konsorten verkaufen, ist: Training - und daraus ergibt sich der Rest. Denn wer den Sinn des Sports darin sieht, immer schneller zu werden, der muss nicht auch immer mehr trainieren, sondern der braucht auch alle Dinge, die angeblich schneller machen: Damit füllt die tour den Rest des Heftchens: Laufräder, Carbonrahmen, Powerriegel.
Equipe Heiner - 26. Mär, 14:07
Manchmal, oder eigentlich fast immer, wenn uns ein Autofahrer wie irre anhupt oder versucht, in den Graben zu drängen, weil ihm nicht nur sein Auto, sondern auch die Straße gehört, müssen wir an „Mad Max“ denken. In diesem gelungenen Streifen aus dem Jahr 1979 verarbeiten, wenn wir uns recht erinnern, die Glory Riders das Auto des Polizisten Max Rockatansky mit Hämmern und anderem schwerem Gerät zu einem eindrucksvollen Haufen Schrott. Mad Max, das nur am Rande, ist der Film mit dem höchsten Kosten-Profit-Verhältnis. Er hat 400 000 Dollar gekostet und mehr als hundert Millionen eingespielt – da sieht man, wie viele Fahrradfahrer sich an der Autozerdepperungsszene gar nicht satt sehen konnten. Diese noch heute vorbildliche Anleitung zur angemessenen Behandlung von aufdringlichen Autofahrern hat nur einen kleinen Nachteil, nämlich den folgenden: Selbst ein nur durchschnittlich ausgeprägtes Rechtsgefühl verbietet die tägliche Nachahmung im vorderen und hinteren Odenwald, weshalb zu unserem Bedauern im Umgang mit gewaltbereiten Autofahrern ein wenig subtiler vorgegangen werden muss.
Doch direkt zur nächsten Polizeistadion zu fahren, um dort unter Angabe von Kennzeichen und Personenbeschreibung Anzeige gegen Mister Unbekannt und seinen PS-Liebling zu erstatten, sollte man sich und dem diensthabenden Wachtmeister ersparen. Der gute Mann hat den ganzen Tag zur Genüge damit zu tun, fehlgeleitete Staatsbürger gebührenpflichtig zu verwarnen.
Was also tun? Tatsächlich war es lange Zeit nicht ganz einfach, wenn man ehrlich ist, sogar ziemlich unmöglich, dem Radfahrer ein Verhaltensrezept an die Hand zu geben für die mentale Kollision mit einem Autofahrer. Um so verdienstvoller war es, als zwei Zweiradfahrer, deren Namen uns aus Diskretionsgründen soeben entfallen sind, gewissermaßen aus der Situation heraus eine überaus passable Vorgehensweise entwickelten. Folgendes hatte sich zugetragen. Zwei Radler fuhren nebeneinander, und obwohl die Straße fast ebenso breit wie lang und überdies nur wenig mehr als völlig unbefahren war, trötete das einzige Automobil weit und breit mit allem, was die Hupe hergab. Die routinemäßige Reaktion der Radler war ein verständnisvolles Tippen mit dem Zeigefinger an die Stirn. Soll heißen: Blödes PS-Arschloch, schau, dass du weiterkommst! Damit ist in den meisten Fällen die Angelegenheit auch schon erledigt, jeder hat getan, was er seinem Standpunkt schuldig ist. Der Autofahrer dem Standpunkt der Männer, deren IQ von der PS-Zahl ihres Autos um das Dreifache übertroffen wird, sowie dem Standpunkt der Radler, deren Ehrbegriff in direkter Linie auf die Cowboys im Mittleren Westen zurückgeht. PS gegen Pferdestärke also.
Diesmal jedoch bremste der Autofahrer sein schweres Gerät rapide ab, fuhr in gemäßigtem Tempo vor den Radlern her und holte zu einem Schlag von bemerkenswerter Raffinesse aus. Er betätigte die High-Tech-Scheibenwaschanlage seines BMW, und offenbar hatte er in gründlicher Voraussicht die Düsen derselben derart zielgenau eingestellt, dass der Wasserstrahl die von der Attacke deutlich überraschten Radler einer demütigenden Dusche unterzog. 1:0 für’s Autolager. Sich von einer blöden BMW-Düse nassspritzen zu lassen, das geht ziemlich eindeutig zu weit, und so wirkten die Zeichen, welche die Radler dem Wagen hinterherschickten, auch auf unbeteiligte Beobachter ein wenig deutlicher, diesmal ließ der Zeigefinger seinen Nachbarn ran, den bösen Buben im Fünfer-Klub. Damit wiederum hätte es nun wieder gut sein können, doch offensichtlich euphorisiert ob seines triumphalen Erstschlages ignorierte der Mann am Steuer die Grundregel Nummer eins in solchen Fällen: Niemals anhalten! Solange nämlich Distanz da ist, bleibt alles ein Spiel, Auge in Auge jedoch ist der Spaß schnell vorbei.
Die Radfahrer reagierten mit einer seit Jahrhunderten bewährten Kriegstaktik divide et impera. Die zahlenmäßige Übermacht nutzen, teilen und siegen. So stand der eine Radler plötzlich an der Beifahrertür und attackierte den Automobilisten von dort mit einem derart eindrucksvollen Zornpotential, dass selbst der Herr Sloterdijk nur noch sprachlos gestaunt hätte, wobei sich diese Flankenattacke jedoch nur als taktisch höchst gelungenes Ablenkungsmanöver herausstellte. Der Autofahrer nämlich wandte sich in verständlicher Abwehrhaltung und in berechtigter Sorge um die Unversehrtheit des in aubergine-metallic gehaltenen BMW-Lacks dem Angreifer auf der Beifahrerseite zu und versäumte dabei, die andere Flanke abzudecken. Von dort griff nun aber der andere Radler geradewegs ins Innere des Wagens, zog mit spitzen Fingern den Zündschlüssel ab, und als der Motor frisch erstorben war, warf er den Schlüssel in hohem Bogen und soweit er konnte in den gut gedüngten Acker jenseits der Straße dritter Ordnung.
So fand die Geschichte ein würdiges Ende. Während der Autofahrer in einem ordentlich stinkenden Acker nach jenem Schlüssel suchte, ohne den sein Automobil nur ein wohl designter, aber unbeweglicher Haufen Schrott war und er selbst nur ein schlecht designter, unbeweglicher Haufen Fußgänger, fuhren die beiden Radler zufrieden lächelnd davon, nebeneinander und ohne eine Spur von Hast, in Richtung Westen, der strahlend untergehenden Sonne entgegen.
Equipe Heiner - 24. Mär, 16:01